1. Eine kurze Vorstellung?
„Mein Name ist Elif Levin, ich bin geschäftsführende Gesellschafterin eines Unternehmens, das IP-Management-Software aus der Cloud herstellt und vertreibt.“
2. Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?
„Um ehrlich zu sein, bin ich eher der Typ, der die Dinge, die sich ihm in den Weg stellen zur Seite räumt, ohne lange zu überlegen. Gleiches gilt für Probleme, für die andere keine Lösung zu finden scheinen oder auch einfach keine suchen. Für diese finde ich meistens eine Lösung. So ergab sich bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt der Wunsch, passende Lösungen für Softwareanwender zu entwickeln, Lösungen, die so noch nicht vorhanden waren. Egal, wie weit das Ziel auch schien, ich bin den Weg einfach losgegangen und habe diese Entscheidung noch nie bereut, im Gegenteil, jeder neue Tag bestätigt mich in der Entscheidung und schenkt mir Freude.“
3. Sind Sie direkt zu diesem Beruf gekommen oder haben Sie erst einmal was anderes gemacht?
„Ich war ein absoluter Quereinsteiger. Der rote Faden in meinem Leben gestaltete sich immer nach den Problemstellungen bzw. deren vermeintlicher Lösung. So fing ich an, zunächst einmal nach meinem Schulabschluss eine Berufsausbildung zu machen, dies nur, damit ich einen Beruf habe, von dem ich möglicherweise erst einmal leben kann. Entsprechend fiel die Wahl auf das Erstbeste, was man bei der Berufswahl damals empfahl: Rechtsanwaltsfachangestellter. Nach der Berufsausbildung arbeitete ich allerdings nur vier Monate in diesem Beruf, da er an der Grenze dessen war, was ich noch mit meiner sonst so überschwänglich verfügbaren Motivation leisten konnte. So beschloss ich, Fremdsprachenkorrespondent zu werden, da mir Sprachen schon immer Freude machten. Über diese Zusatzausbildung kam ich dann zu einem Arbeitgeber, wo ich schlussendlich erst feststellte oder besser erlebte, dass mich die Computeranlagen dieses Arbeitgebers und die Lösungen von Kollegenproblemen mit Software und Hardware wesentlich mehr in den Bann zogen, als irgendwelche trockenen Texte zu übersetzen. Ich fing an, mir die Abende und Nächte mit dem Selbststudium von IT um die Ohren zu hauen und wurde zur Anlaufstelle aller Fragen rund um IT bei den Kollegen. Ich hatte so viel Spaß dabei. Und das war der Anfang meiner Karriere im IT-Sektor.“
4. Also haben Sie noch etwas anderes gemacht?
„Ja, grundsätzlich habe ich immer etwas gemacht. Und auch wenn es manchmal keinen Spaß machte, hat es mich rückwirkend betrachtet immer dementsprechend beflügelt, mehr aus meinem Leben zu machen. Als weiteren Schritt habe ich dann eine Handelsniederlassung gegründet.“
5. Wie genau sind Sie dann zu Ihrem heutigen Beruf gekommen?
„In der erwähnten Handelsniederlassung habe ich als selbstständiger Händler exzellente Umsatzzahlen erreicht, so konnte ich ein gewisses Grundvermögen anhäufen, welches mir ermöglichte, meinen Traum der eigenen Softwarefirma ohne fremde Hilfe anzugehen.“
6. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
„Wie immer, einfach mal losgelaufen und dabei alle Auffälligkeiten und Punkte gesammelt, die mir bei den anderen Softwareherstellern gefehlt oder missfallen hatten. Ich hatte ein genaues Bild im Kopf, wie eine alternative Software auszusehen hätte. Mir war dabei klar, dass ich eine aus diesen Vorstellungen entspringende hochkarätige Software nicht selber programmieren und verantworten könnte, ganz egal wie viel Wissen ich mir im Laufe der Zeit im Selbststudium angeeignet hatte. Dafür brauchte ich jemanden, der in seinem Fach ein Überflieger war und an die Idee glaubte. Es ergab sich als glückliche Fügung, dass ich im Freundeskreis viele Informatiker und Mathematiker hatte und diese empfahlen mir einen exzellenten Informatiker, den ich dann nur noch von meiner Idee überzeugen musste. Dies gelang mir ziemlich gut. Das war ein wirklich magischer Moment, was mir damals noch nicht mal in aller Tiefe bewusst war. Ich gewann den einen fulminant kompetenten, bescheidenen und vor kreativen Ideen nur so übersprudelnden Informatiker als Kompagnon für meine zu gründende Firma, Herrn Diplom-Informatiker Peter Parzinger. Rückblickend betrachtet wirklich ein sagenhafter Gewinn, ein Geschenk, zumal ich seine Kompetenz zum damaligen Zeitpunkt als ich mit ihm die Firma gründete in keiner Weise beurteilen konnte. Aber er lies sich fast bedingungslos darauf ein, er vertraute mir und meiner Idee, er war ein Macher wie ich, der einfach das hält, was er verspricht, wenn er sich einmal entschieden hat. Und Punkt.“
7. Gibt es bestimmte Voraussetzungen, die man für Ihren Beruf des Unternehmers braucht?
„Ja natürlich. Wenn man meinen Beruf als Unternehmer auf den Aspekt der Unternehmensgründung und Unternehmensexpansion beschränkt, so braucht man hierzu meiner Meinung nach eine gute Portion Kritikfähigkeit, vor allem sich selbst gegenüber, Ausdauer, sich ständig nach unberechenbaren Zielen neu ausrichten zu können, immer und immer wieder, eine große Portion Optimismus, dabei meine ich mit Optimismus nicht das sogenannte Vermögen, positiv zu denken, sondern das Vermögen, das große Ganze stets aus einem optimistischen und schöpferischen Blickwinkel sehen zu können und sich von Rückschlägen keinesfalls von seinem Optimismus abbringen zu lassen. Wenn man aber diese beiden Aspekte, das Doing von Unternehmensgründung und -expansion mal zur Seite legt, würde ich der Liste von Eigenschaften noch hinzufügen, dass ich ohne meine zupackende Art und schöpferische, begeisterungsfähige Ader, die mir nur selten abhanden kommt, wohl nie soweit gekommen wäre. Diese ist meiner Meinung nach kein Späterwerb, sondern Veranlagung.“
8. Gibt es denn keine Momente, wo Sie nicht mehr weiterwissen oder einfach aufgeben möchten?
„Ja und ob! Ich kenne viele solche Momente. Ich bin überzeugt, dass sie zu meinem gesunden Weg gehören. Wäre ich nicht manchmal verzweifelt oder würde ich nicht an dem, was ich mache zweifeln, könnte ich keine Kurskorrekturen vornehmen und könnte mich auch nicht an meinen Erfolgen und Ergebnissen erfreuen. Wo kein Zweifel ist, ist keine echte Freude. Das kann man beliebig auch auf andere Bereiche des Lebens weiterspinnen. Wo kein Zweifel ist, ist keine echte Freude. Wo immer nur eitel Harmonie ist, ist kein Antrieb, eher Langeweile. Von daher freue ich mich über jede negative Emotion oder Situation, die sich mir bietet und versuche immer das Beste daraus zu machen im wahrsten Sinne.“
9. Wie sind Sie zu all diesen Ideen und zu dieser Einstellung gekommen?
„Das kann ich so nicht beantworten. Dazu bräuchte ich eine Glaskugel. Oder ein Orakel, das alles weiß. Aber wenn ich es versuchen soll, zu beurteilen, so würde ich die Wurzeln meines Seins und meines Erfolges schon in meinem Elternhaus sehen, wo viel von mir gefordert wurde, ohne Ausnahme. Während ich also grundsätzlich mit Haushalt, Schule, Betreuung meiner kleinen Schwester beschäftigt war und kein Entkommen sah, wuchs ich vermutlich an meinen Aufgaben und lernte dabei, dass ich alles schaffe, wenn ich nur will. Dieses Credo haben mir meine Eltern jedoch auch immer vermittelt. Sie vermittelten mir, dass es nichts gibt, was man nicht aus eigener Kraft schaffen kann, wenn man nur hart genug dafür arbeitet. Sie lebten mir das auch vor. Kleine Anekdote dazu: mit fünf Jahren schickten sie mich allein zum Bäcker, um Brot zu kaufen. Meine Mutter sagte mir, das schaffst du ganz sicher auch allein, denn du bist toll und kannst das. Ich war so stolz auf mich selbst und ich dachte wirklich, ich bin der Herrscher der Welt. Dass sie mir heimlich folgten und darauf achteten, dass mir im Straßenverkehr nichts passiert, bekam ich nicht mit. Überdies hatte ich das Glück, eine zweite Familie zu haben, bei der ich immer phasenweise sein durfte. Die Familie meiner Tante. Mein Cousin, der für mich eigentlich ein Bruder ist, war ein Musterschüler und badete in Liebe und konstruktiven Grenzen und Vorgaben. An diesem wunderbaren „Bad“ war ich dann einfach wie selbstverständlich mit beteiligt, so als wäre ich eine Tochter der Familie. Diese Polarität zwischen strengem Elternhaus und liebevoller Konsequenz der anderen Familie trage ich als Gesamtkomposition in mir. Dafür bin ich dankbar.“
10. Zum Abschluss eine Frage: Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie die Wahl hätten?
„Eine schwierige Frage. Grundsätzlich habe ich die „je ne regrette rien“-Einstellung. Aber wenn ich genau überlege, gibt es da doch etwas wesentliches: Ich würde mir mehr spielerische, freudige und unverbindliche Zeit geben mit meiner Kreativität und auch mit meinen Arbeitsinhalten und Aufgaben. Ich würde einen Rat, den ich schon vor vielen Jahren von einem großen Strategen und gleichzeitig meinem Cousin (und Bruder, wie oben erwähnt), Ümit Anil bekommen hatte versuchen, wirklich umzusetzen. Der Rat war folgender: „Konzentriere dich mit aller Kraft auf deine Stärken und versuche deine Stärken noch zu vertiefen. Lass deine Schwächen Schwächen sein und von anderen für dich erledigen.“ Das ist wirklich das Einzige, was ich anders machen würde. Ja, tatsächlich schaffe ich das heute. Meistens zumindest. Aber hätte ich das früher umsetzen können, zu einem Zeitpunkt, als mein Cousin mir das sagte, und jetzt, wo ich es umsetze, weiß, was für einen ungeheuren Einfluss dieses Vorgehen auf mich und den Erfolg der Firma hat, hätte ich viel früher schon viel mehr davon gehabt. Ich kann nicht genug bekommen von dem Glück, das ich jeden einzelnen Tag meines Lebens fühle und lebe und von der Freude, andere daran teilhaben zu lassen.“
Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Levin.
Das Interview führte Frau Cornelia Ertel-Reiter im Rahmen von Recherchen zu Erfolgsgeschichten.